In Märchen und Mythen haben sich über Jahrhunderte Archetypen und Vorstellungswelten der Menschheit am Leben erhalten. Ein jedes Wesen hat sein süßes Geheimnis: Melusine, die Sagengestalt des Mittelalters, bringt ihrem Bräutigam Glück, bis er ihre Kehrseite sieht. Lohengrin, der berühmte Sohn des Gralskönigs Parzival, kämpft für Elsa, solange sie nicht nach seiner Herkunft fragt. Der Werwolf, das Zwischenwesen aus Mensch und Tier, ist seiner Frau treu, wenn er nur seine nächtlichen Abenteuer unternehmen darf. Und das Einhorn, legendäres Symboltier der Unschuld, ruht im Schoß der Jungfrau, solange es keiner entdeckt. Es sind die Geheimnisse der Liebe. Und nur die Nacht kennt aller Rätsel Lösung. Auf musikalische Spurensuche durch den Irrgarten der Liebe begeben sich die Figuren-Spieler des Theaters Naumburg gemeinsam mit einem der traditionsreichsten Chöre der Region, dem Claudius- Männerchor Naumburg unter Leitung von Paul Symann. Paul Sonderegger, Regisseur, Rundfunksprecher des RBB, Schauspieler und Inszenator zahlreicher literarischer Abenteuer, liest die alten Märchen und Sagen von Melusine, Lohengrin und dem Werwolf.
Romantisches Figuren-Erzähltheater mit Musik
PREMIERE am 04.09.2010 Marientor Naumburg
Vorstellungen am 05. und 06.09.2010
www.theater-naumburg.de
Am Anfang kommt, am Ende geht der berühmte Schwan und mit ihm der Ritter Lohengrin, Sohn des Gralskönigs Parzival. Dazwischen erscheinen ein verwunschener Ritter als Werwolf, die schöne Melusine, die mit Krötenkopf und Schlangenleib den jugendlichen Liebhaber verschreckt und das sagenhafte Einhorn, dem die Liebe zu einer Jungfrau zum Verhängnis wird.
Drei Geschichten sind das, die in der jüngsten Inszenierung des Naumburger Theaters "Vom Einhorn und der schönen Melusine" erzählt werden. Die Mirakel sind bekannt, und hier werden sie nicht neu erfunden, sondern komödiantisch als Erzähltheater mit Figuren und Musik als heiteres Sommertheater dargeboten. Es geht um Liebe und Verrat im Reich der Mythen und Sagen, wie das aus Minnesängerzeit und frühem Mittelalter überliefert ist.
Regisseur Paul Sonderegger, der auch als Erzähler die Geschichten augenzwinkernd auf den Punkt bringt, hat mit Kathrin Blüchert und Holger Vandrich als Figurenspieler nicht nur zwei ausgezeichnete Schauspieler zur Seite, sondern erstmals in Naumburg ein komplettes Gesangsensemble. So sah man den Claudius-Männerchor noch nie: ein Klangkörper, der unter der musikalischen Leitung seines Dirigenten Paul Symann immer in Bewegung ist. Mal positionieren sich die Sänger vor, mal auf der Bühne, teilen sich in Gruppen, beteiligen sich am Spiel. "Claudius" singt dabei durchweg und gekonnt Lieder aus seinem Repertoire. Die sind mal passend, mal konträr zum Geschehen. Wenn die Sänger, mit Eichenzweigen als Wald dekoriert, das Lied "Ein Jäger jagt ein wildes Schwein" anstimmen, während der Werwolf - eine kleine Handpuppe - durch diesen "Wald" gejagt wird, das ist schon ein köstlicher Spaß. Auch solche Regieeinfälle gehören dazu: Lohengrin und seine Elsa turteln mit Kochlöffel und Messer bewaffnet vor dem Elektroherd. So hat Richard Wagner die Gestalten seines Musikdramas wohl nie gesehen!
Dennoch gerät die musikalische Spurensuche durch den Irrgarten der Liebe nie aus dem Ruder, es bleibt die augenzwinkernde Romantik, die den Reiz des Spiels ausmacht, zum Klamauk mutiert das Ganze nie. Das Publikum im dicht besetzten Marientorhof hatte sichtbar Spaß an dem komödiantischen Figurenspektakel, Applaus gab es auf offener Bühne.
Es war eine rundum gelungene Eröffnungspremiere der neuen Spielzeit und eine mit Bravour bestandene Bewährungsprobe einer Kooperation, die es so am hiesigen Theater noch nicht gegeben hat: Naumburger Bürger - hier der Claudius-Männerchor - stehen gemeinsam in einer Inszenierung mit Profis auf der Bühne.
Am Ende dann, nach gut einer Stunde, ziehen die Claudius-Sänger, kleine Laternen in der Hand, wie einst Fernseh-Rumpelkämmerer Willi Schwabe, singend aus dem Torhof: "Schweigend, schweigend. Aus der blauen Ferne. Wie schön bist du, freundliche Stille, himmlische Ruh´!" Und aus den sparsamen Bühnenkulissen, in die sich Erzähler und Spieler winkend zurückziehen, leuchtet noch einmal Gralsritter Lohengrins weißer Schwan.
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