Doris und Georg sind beide Mitte 20 und mit Ehepartnern und Kindern gesegnet, als sie sich fern der Heimat kennenlernen und eine stürmische Nacht miteinander verbringen. Das war in den Achtziger Jahren. Seitdem wiederholen sie dieses freud- und lustbringende Erlebnis Jahr für Jahr im selben Hotelzimmer. Was als Seitensprung begann, wird mit den Jahren und Jahrzehnten zu einer ungewöhnlichen, tiefen Liebe, die beide über ihre Leben "daheim" und die Menschen darin nachdenken lässt. Eine Liebe, welche alle Höhen und Tiefen überdauert. Ein Leben lang. Erleben Sie ein Stück voller Freude und Trauer, voll Witz und Ironie, gespickt mit mehr oder weniger angenehmen Wahrheiten über uns Menschen und unsere sichtbaren und unsichtbaren Leben.
Premiere: 25. April 2013
Vorarlberger Volkstheater Götzis
www.vovo.at
Götzis. (sch) Hätte es in letzter Zeit mehr solcher sensationell guter Produktionen wie die jüngste und letzte, „Nächstes Jahr, gleiche Zeit“, gegeben – wer weiß, vielleicht hätte der nahende Exitus des VOVO vermieden werden können. Nun, am Donnerstag war Premiere der „Romantischen Komödie“ des Amerikaners Bernard Slade (geb. 1939), „Nächstes Jahr, gleiche Zeit“, in der schon obligaten Dialektfassung von Stefan Vögel. Der Abend wurde zu zwei Sternstunden exquisiter Schauspielkunst, die geistreichen, unterhaltenden Boulevard ebenso präsentierte wie berührenden menschlichen Tiefgang. Hervorragend besetzt war das Zweipersonenstück mit Chantal Dorn und Dirk Waanders, beide schon Publikumslieblinge beim VOVO. Als Regisseur fungierte und debütierte, spät aber doch in Vorarlberg, der aus Rankweil stammende und in Berlin vielseitig künstlerisch tätige Paul Sonderegger. Und er sorgte zusammen mit dem furiosen Duo für Tempo und subtilen Humor.
Die Komödie von Slade dürfte in der Region durch TAK-Gastspiele bzw. die Verfilmung schon bekannt sein. Slade offeriert auf charmante Art eigentlich ein ziemliches Quantum Unmoral. Ein verheiratetes, aber nicht miteinander, Liebespaar, Doris und Georg, beide um die 20 mit Gatten bzw. Gattin und etlichen Kindern, feiern ihre erste gemeinsame Liebesnacht aus dem Jahr 1987 in einem Hotelzimmer in NÖ danach jedes Jahr zur gleichen Zeit bis 2013 … Stefan Vögel hat die Handlung ins Weinviertel versetzt, Doris ist eine Vorarlbergerin und spricht im Unterländer Dialekt; Dirk Waanders ist im Leben und in der Rolle ein perfekt hochdeutsch parlierender Deutscher.
In fünf Stationen, welche durch Video-Einspielungen den Zeitraum der achtziger Jahre bis in die Gegenwart in Erinnerung rufen, verfolgt der Zuschauer amüsiert die wechselvolle Wandlung des älter und auch reifer werdenden Liebespaares auf seinem jährlich prolongierten Seitensprung.
Chantal Dorn und Dirk Waanders spielen hinreißend die Wandlungen und Verwandlungen (besonders Chantal in verschiedenem Outfit) des eigentlich grundverschiedenen und doch in den Herzen symbiotisch verbundenen Paares. Und als das Treffen einmal mit der hochschwangeren Doris stattfindet und Georg statt als Lover als Geburtshelfer einspringen muss, ist das Publikum zu Recht aus dem Häuschen. Ein enormer Kontrast: Georg hat seinen Sohn in Afghanistan im Kriegseinsatz verloren; und diese Szene erweist den erzählenden Dirk Waanders mit Wut und Schmerz auch als Charakterdarsteller von Format.
Das Stück ist eine dramaturgisch feine Mischung aus Witz und Humor, Freude, aber auch Tiefgang bis Trauer und auch sehr viel Lebensweisheit über den menschlichen Dauerbrenner Liebe. Theaterfeinspitze sollten diese ausgezeichnete letzte Schauspielproduktion des VOVO auf keinen Fall versäumen. Kerstin Köck schuf den Rahmen für das oft gebrauchte Liebesnest im ominösen Hotelzimmer und die hübschen Kostüme (Chantal Dorn !) im Wandel der Zeiten. Das Premierenpublikum feierte alle Mitwirkenden stürmisch.
1. Was ist für dich das Besondere an "Nächstes Jahr, gleiche Zeit"?
Was man zunächst kaum vermutet: diese relativ unbekannte amerikanische Komödie von 1975 stürzt sich kraftvoll auf große und wichtige Themen. Es geht um die widersprüchlichen Sehnsüchte im Leben. Wir sehnen uns nach dem Außergewöhnlichen und gleichzeitig nach dem Alltäglichen. Wir wollen uns immer wieder spontan verlieben, aber suchen doch auch verlässliche und dauerhafte Bindungen. Es ist der Spagat zwischen Abenteuerlust und Beständigkeit, zwischen Wahnsinn und Normalität des Alltags. Ich denke, letztlich geht es – bei aller Lust nach persönlicher Bedürfnisbefriedigung – darum, uns der Verantwortung bewusst zu sein, die wir für uns selbst haben und alle Menschen, die uns im Leben wichtig sind.
2. Was sind das für Charaktere, die uns auf der Bühne begegnen?
Die Zuschauer erleben die Entwicklung von zwei Menschen über 25 Jahre hinweg. Das ist, nebenbei gesagt, auch eine Herausforderung für die Kostüm- und Maskenbildnerin. Für mich als Regisseur stellt sich die Frage: Wie verändern sich Menschen im Laufe ihres Lebens – wandeln sie sich völlig oder gibt es Konstanten? Auffallend ist, dass sich die Personen in ‚Nächstes Jahr, gleiche Zeit’ sehr stark entwickeln, allerdings sehr ungleichzeitig, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Richtungen. Dennoch scheint es, dass sie sich gegenseitig sehr beeinflussen. Deutlich wird, dass einschneidende Erlebnisse wie Heirat, die Geburt eines Kindes, der Tod eines geliebten Menschen immer entscheidend prägen. Und dass das sexuelle Begehren selbstverständlich lebenslange Triebfeder ist. Im Lauf des Stückes wird klar: Menschen sind erstaunlich wandlungsfähig, launisch und manipulierbar. Aber tief drinnen muss es wohl einen stabilen Kern geben, der uns lenkt. Die Figuren der Komödie bleiben sich selbst, ihren Wünschen und ihren Macken jedenfalls treu. Außerdem führen sie in rührender Weise vor, wie man mit dem Dauerthema Seitensprung spielerisch umgehen kann.
3. Was war für dich die größte Herausforderung?
Wie in jeder Produktion: das gemeinsame Ziel aller Beteiligten, die beste aller Aufführungen auf die Bühne zu bringen. Das lohnt jede Anstrengung. Wenn uns das ein wenig gelingt, überträgt sich unsere Energie auf das Publikum. Positiver Nebeneffekt: Die intensive Arbeit macht Spaß, und ich lerne immer viel dazu.
4. Worauf hast du bei deiner Inszenierung speziellen Wert gelegt?
Die Leichtigkeit des Genres Komödie mit der Ernsthaftigkeit der Themen zu verbinden. Komödie gilt im Regiefach gemeinhin als Königsdisziplin. Es ist viel schwieriger, Menschen zum Lachen zu bringen als zum Weinen. Weil wir es hier mit einer Komödie voller Lebensweisheiten zu tun haben, beschäftigt mich das Wechselspiel von Leichtigkeit und Tiefgang, von Tragik und Ausgelassenheit, von Augenzwinkern und Ernsthaftigkeit.
5. Du führst zum ersten Mal Regie in der Heimat, wie war es für dich?
Ein großes Vergnügen. Allerdings: Vorarlberg hat sich in den letzten 25 Jahren total verändert. Wenn man nicht mehr hier lebt, bekommt man schon zu spüren, dass man nicht dazugehört. Es dauert ein bisschen, bis der gemeine Vorarlberger seine Angst vor dem Fremden ablegt, aber dann ist alles super. Es kann kein Zufall sein: Unser Stück "Nächstes Jahr, gleiche Zeit" gibt genau meine persönliche Situation wider: Vorarlberg trifft auf Deutschland. Meine Empfehlung: Austausch der Kulturen inspiriert.
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