Fränkische Landeszeitung, 19. Oktober 2021
aus der Rezension von Thomas Wirth
"Leben. Liebe. Lieder": Ein Platen-Abend mit Texten und Musik im Theater Ansbach
Ansbach. August von Platens Gedichte sind das eine. Paul Sonderegger lenkte den Blick auf das andere, auf die "Geschichte seiner Empfindungen", auf die Tagebücher des Dichters. Er holte so Platen ins Ansbacher Theater herein.
Eigentlich steht der literarische Graf erhaben als Denkmal vor dem Theater. Einen Theaterheiligen wollte Paul Sonderegger in ihm sehen, der das Haus schützt. Aber dann ließ er ihn in seinem Programm "Leben. Liebe. Lieder" vom hohen Sockel steigen. Er ließ Platen lebendig werden. (…) Die Tagebücher, "ein Schatz", so der Theatermann, waren das dramaturgische Rückgrat Die Platen-Vertonungen von Loewe über Schubert bi hin zu Schumann und Brahms, passend zu den biografischen Situationen gestellt, garantierten die emotionale Vergegenwärtigung der historischen Texte.
Nun ist, seit es den Platen-Literaturpreis gibt, in Ansbach die Erinnerung an den Dichter durchaus wieder präsent. Die Lebensstationen, Platens Homosexualität, seine unerfüllte Liebe, sein Leiden an ihr, der Streit mit Heine, sie waren oft Thema. Aber Sonderegger las sie mit so viel Empathie und Enthusiasmus, dass Platen für einen Abend zum Zeitgenossen wurde. Das gelingt selten.
Lars Conrads Anteil daran war nicht klein. Mit großer Emphase und noblem Bariton interpretierte er die Lieder, am eindrucksvollsten in den aufgewühlten, schicksalsdunklen Vertonungen, die durch die Tagebuchpassagen noch einmal in ihrer Bedeutung aufgeladen waren. Der Platen-Abend von Sonderegger, Conrad und Lücker wurde so zu einem biographischen Hörbild auf offener Bühne. Nebenbei führten sie mit weiblicher Publikumsunterstützung Szenen aus Platens satirischem Lustspiel "Der romantische Ödipus" vor - es sei heute nicht mehr aufführbar, meinte Sonderegger nicht ohne Bedauern.
August von Platen. Leben, Liebe, Lieder
Eine Annäherung von und mit
Paul Sonderegger und Freunden
Christian Wagner, Bariton (24.1.2019)
Lars Conrad, Bariton (17.10.2021)
Arno Lücker, Klavier
Paul Sonderegger, Rezitation und Moderation
Premiere am 24. Januar 2019
im Zeiss-Großplanetarium Berlin
Fest zum 225. Geburtstag von August von Platen am 17. Oktober 2021 im Theater Ansbach
PROGRAMM
"Die Welt im Großen, und du mir in ihr"
Wer war August von Platen? Wie lebte er? Wie fühlte er? Und was macht überhaupt den großen Reiz seiner Dichtung aus? Das Programm AUGUST VON PLATEN. LEBEN, LIEBE, LIEDER von und mit Paul Sonderegger und Freunden bringt Platen einem Publikum von heute nah – intensiv, anschaulich, sinnlich und überaus facettenreich. Die fesselnde Mischung aus Rezitation, Liederabend, halbszenischer Performance, visuellem Feature und pointiertem Kommentar spricht alle Sinne an.
Ausgewählte Gedichte Platens, Tagebuchaufzeichnungen, Auszüge aus Briefen und vielfältige biografische Details ergeben ein pralles Lebensbild, das der Gefühlswelt und dem Erleben des Dichters nachspürt und die Faszination seiner Werke direkt vermittelt. Auf diese Weise werden der Mensch und Künstler August von Platen und seine Epoche tatsächlich lebendig, weil Paul Sonderegger und seine Kollegen einen neuen Zugang zu August von Platen finden: Aus heutiger Perspektive machen sie ihre Annäherung persönlich und begeben sich mit profund recherchierten Quellen auf eine abwechslungsreiche, überaus spannende Spurensuche – ohne abgestandene Klischees, stattdessen mit zahlreichen aufschlussreichen Querverweisen auf Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie, mit klugen Erläuterungen und Analysen, pointiert, charmant, mit Tiefgang und gleichzeitig mit erfrischender Leichtigkeit.
Nicht ausgespart wird dabei auch eines der traurigsten Kapitel in Platens Leben, die verbissen ausgetragene Fehde zwischen ihm und seinem Kollegen Heinrich Heine, ein Disput, der später als „Schweinekonzert“ bezeichnet wurde: Platen ätzt in der als Parodie gedachten Komödie Der romantische Ödipus (1829) mit antisemitischen Hieben gegen Heine. Heine macht seinerseits in der Reisebeschreibung Die Bäder von Lucca (1830) mit derben homophoben Stichen diffamierend die Männerliebe Platens öffentlich. Heute würde man von „Zwangsouting“ sprechen. Die bittere Einsicht: Zwei Außenseiter in der Gesellschaft ihrer Zeit bekämpfen sich statt sich zu solidarisieren und verlieren dadurch beide. Die verfeindeten Künstler gehen beschädigt aus dem Schlagabtausch heraus. Am Ende verlassen beide Deutschland, Heine geht nach Frankreich, Platen nach Italien.
Einen großen Reiz des Programms AUGUST VON PLATEN. LEBEN, LIEBE, LIEDER macht die dargebotene Auswahl aus dem überraschend reichen Fundus an Klavierliedern auf Gedichte Platens aus: Zu hören sind etwa Werke des Balladenkomponisten Carl Loewe sowie Lieder von Peter Cornelius, Franz Schubert, Robert Schumann und Johannes Brahms. Diese musikalische Komponente ist nicht bloß schmückendes Beiwerk des Programms, sondern elementarer Bestandteil. Die Liedtexte werden in einen engen Zusammenhang mit dem Leben August von Platens gesetzt. Zudem präsentiert das Programm bislang verborgene Schätze aus Archiven von heute wenig aufgeführten Komponistinnen und Komponisten, beispielsweise von Josephine Lang und Joseph Marx, deren Musik sich als wertvolle Repertoirebereicherung herausstellt. So lebendig, vielseitig, spannend und emotional kann die Beschäftigung mit einem Dichter sein, der vor 200 Jahren gelebt hat.
Zu Lebzeiten stand August von Platen im regen Austausch mit vielen Wissenschaftlern und Künstlern seiner Zeit, so mit dem Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, bei dem er in Würzburg studierte, dem Schriftsteller Gustav Schwab sowie den Dichtern Friedrich Rückert und Jean Paul.
Nahezu alle Künstler und Intellektuelle seiner Zeit haben sich mit den Werken Platens auseinandergesetzt. Und auch im 20. Jahrhundert beschäftigten sich Schriftsteller von Thomas Mann bis Hubert Fichte mit dem Dichter. Dagegen sind heute selbst in großen Medienhäusern und Buchhandlungen die Werke Platens nur vereinzelt anzutreffen oder überhaupt nicht zu finden. Doch Platens literarische Bedeutung wird gerade wieder entdeckt: 2014 erschienen seine Ghaselen in einer Neuausgabe, 2019 wurden seine Sonette neu herausgegeben. Seit 2005 wird in Platens Geburtsstadt Ansbach alle zwei Jahre der August Graf von Platen Literaturpreis verliehen. Es ist also an der Zeit, wieder den Blick auf den Dichter zu werfen.
Sehr beeindruckend ist die unerwartet große Menge der vertonten Gedichte Platens. So berühmte Komponisten wie Franz Schubert, der das Lied "Die Liebe hat gelogen" schrieb, Robert Schumann und Johannes Brahms haben Texte August von Platens für ihre Werke herangezogen. Auch Peter Cornelius und der zu seiner Zeit sehr beliebte Balladen-Komponisten Carl Loewe, haben sich an der Dichtung Platens inspiriert. Zudem wären noch viele weitere, heute weniger bekannte Komponistinnen und Komponisten zu nennen, die Verse von Platen für Lieder verwenden. Gerade hier gibt es noch viel zu entdecken. Für das Programm AUGUST VON PLATEN. LEBEN, LIEBE, LIEDER sind wahre Schätze aus den Archiven geborgen worden, ein Gewinn fürs Repertoire.
Geboren wird August Graf von Platen kurz nach der französischen Revolution, am 24. Oktober 1796, im fränkischen Ansbach als Spross einer Adelsfamilie ohne Besitztümer. Sein Vater arbeitet als markgräflicher Oberforstmeister. Mit 10 Jahren tritt August von Platen auf Weisung des Vaters eine Ausbildung in der Kadettenanstalt in München an, im Alter von 17 Jahren schlägt er die Offizierslaufbahn ein. 1815, 19-jährig, nimmt er am Frankreich-Feldzug gegen Napoleon teil. 1818, nun 22 Jahre alt, lässt er sich vom Militär beurlauben und studiert in Würzburg, später in Erlangen Jura und nebenbei sowohl Philologien als auch Naturwissenschaften.
Seit seiner Jugend fühlt sich August von Platen zu Männern hingezogen. Aus seinen Tagebuchaufzeichnungen ist bekannt, dass er sich während der Studienzeit in Würzburg in einen Mitstudenten verliebt – eine Zuneigung, die unerwidert bleibt und den jungen August von Platen in derart große Verzweiflung stürzt, dass er Würzburg verlässt und sein Studium in Erlangen fortsetzt.
1824 reist er erstmals nach Italien, Sehnsuchtsland des Nordens, für Platen wie für viele andere die Verheißung auf Freiheit und Sinnlichkeit. Zwei Jahre später übersiedelt Platen dauerhaft in den Süden, lebt in Venedig, Rom, Neapel und reist durch Sizilien, wo er 1835 in Syrakus mit 39 Jahren aufgrund fehlerhafter ärztlicher Behandlung einer Infektion erliegt. Heute erinnern in Syrakus die Via Augusto von Platen und Platens Grabmal an den Dichter.
August von Platen verfasste neben seinen Theaterstücken eine ausdrucksvolle, emotionsgeladene, bildreiche Dichtung, die faszinierend unterschiedlichen Formtraditionen folgt, von der klassischen Antike bis zu orientalischen Vorbildern, dies alles in individuellen Aneignungen und Ausprägungen. Wie Goethe begeisterte sich auch Platen am persischen Dichter Hafis und an der klassischen persischen Literatur und schuf einzigartige Ausformungen der kunstvollen altpersischen Gedichtform Ghasel in deutscher Sprache.
August von Platen begehrte Männer in einer Zeit, als dies gesellschaftlich nicht akzeptiert war, und litt – soweit wir dies wissen – zeitlebens an unerfüllter Liebe. Das, was er in seinen Gedichten zum Ausdruck bringt, ist so universell, gibt so tiefe Einsichten in das Wesen der Liebe, über Sehnsucht, Verlangen, Hoffnung und in den Umgang mit Abweisung, dass dies jeden Menschen direkt anspricht. Träumerisches Sehnen, leidenschaftliche Schwärmerei, aber auch das Gefühl der Isolation und Marginalisierung, Angst vor Ablehnung, Selbstvergewisserung, Frustration, Trauer, Wut, Hoffen auf ein neues Glück, brennendes Begehren – all das ist in seinen Texten zu finden. In seiner romantischen Naturbetrachtung als Weg der Erkenntnis über die eigene Existenz im Kosmos ist August von Platen ein Geistesverwandter des berühmten Malers Caspar David Friedrich: Der Nachthimmel wird zum Sehnsuchtspanorama.
In Platens kompromisslosem Bekenntnis zum Gefühl und seiner radikalen Selbstbefragung lässt sich in der Epoche des Biedermeier und Vormärz ein unkonventionelles, alternatives Männerbild erkennen, das sich in seiner Gebrochenheit, seiner Zerrissenheit und Selbstreflexion als ungemein modern ausnimmt. Wenn Platen Verse schreibt wie "Ich bin wie Weib dem Mann, wie Mann dem Weibe dir" oder "O schöne Zeit, in der der Mensch den Menschen lieben kann!" spricht daraus ansatzweise sogar schon ein Denken, das erst gut 150 Jahre später im Queer-Diskurs von Judith Butler oder von Eve Sedgwick-Kosofsky voll zur Ausprägung kommt.
Das Format des Programms AUGUST VON PLATEN. LEBEN, LIEBE, LIEDER ist flexibel. Es ist aufgrund seiner Wendigkeit und Vielgestaltigkeit für diverse Aufführungsorte möglich, sofern ein Klavier oder ein Flügel vorhanden ist. Sei es ein größeres Auditorium, sei es ein Kammermusiksaal, ein Theatersaal, ein Studio oder ein intimer Salon – August von Platen kommt dem Publikum auf jeden Fall nahe.
Uraufgeführt wurde das Programm AUGUST VON PLATEN. LEBEN, LIEBE, LIEDER in einer ersten Fassung am 24. Januar 2019 in der Reihe "Himmlische Partituren" im Zeiss-Großplanetarium in Berlin, einem der außergewöhnlichsten Aufführungsorte der Metropole. Die Reaktionen des Publikums waren begeistert, gerade weil hier der Mensch Platen für unsere heutige Zeit verständlich gemacht wurde und die Besucher*innen seine Epoche emotional und sinnlich nachvollziehen konnte. Das Programm eröffnet eindrucksvoll Dimensionen einer tiefen Gefühlswelt des Menschen, einer Gefühlswelt, die in Zeiten überheizter Kommunikationsgeschwindigkeiten und permanenter medialer Überreizung fast schon völlig aus dem Blick geraten ist. Dies zeigt: Es ist Zeit für August von Platen!
Text: Dr. Eckhard Weber
© 2024 paul@paul-sonderegger.de, Berlin; Impressum