In diesem Fall darf und muss man unbescheiden sein: Das Sommertheater im Naumburger Marientor hat erneut ein Stück Weltliteratur zum Gegenstand. Diesmal ist es der dramatisierte Schelmenroman über den "Braven Soldaten Schwejk" – eine pazifistische Satire, ein kräftiges Bekenntnis zum Antimilitarismus, ein großes Stück Volkstheater. Ob Heinz Rühmann, Peter Alexander oder Fritz Muliar – bekannte Schauspieler trugen zur Popularität der Figur des Schwejk bei. Sich wie Schwejk zu verhalten, ist vielerorts zu einem festen Begriff geworden. Es kennzeichnet einen Charakter, der sich mit List, Witz und Passivität gegen die Unbilden im Leben wehrt, der sich naiv oder dumm zu stellen weiß, um den größten Katastrophen zu entgehen. Man muss sich den Umgang mit der Wahrheit eben auch ein wenig zurechtlegen können! Die Wahrheit ist in den Augen Schwejks relativ; sie darf gebogen oder verdreht werden, denn: Hauptsache ist, dass der "Kleine Mann" über die Runden kommt! Diesem böhmischen Antihelden ist kaum etwas nachzuweisen, weil die sprichwörtlich gewordene Schwejksche Schläue Autoritäten bloßstellt und somit sogar Kriege zu überstehen hilft, was das wahre Talent dieses Überlebenskünstlers ausmacht.
Komödie nach dem Roman von Jaroslav Hašek, bearbeitet von Robert Gillner
Premiere am 9. Juni 2017
im Marientor Naumburg
www.theater-naumburg.de
…Inmitten des Publikums erzählen die fünf Mimen (…) die Geschichte des wohl bekanntesten aller Soldaten: Schwejk. Dieser legt wie kein anderer mit seiner Naivität die Absurditäten des Krieges offen. Temporeich entspinnt sich in Paul Sondereggers Regiearbeit Robert Gillners Bearbeitung von Jaroslav Hašeks 1921 herausgebrachten, längst weltberühmten Schelmenroman.
…Eine pazifistische Satire, ein Antikriegsroman, der an Aktualität nicht verloren hat, als unterhaltsames Sommertheaterstück? Ja, das funktioniert - mit viel Witz, komischen Situationen, Live-Trompetenspiel, halsbrecherischen Aktionen und Schauspielern, die Spaß am rasanten Spiel haben, die unmittelbare Nähe des Publikums nicht scheuen und von einer Sekunde auf die andere in eine von mehreren, ihnen zugedachten Rollen schlüpfen. Zwei Stunden lang geht es über Tische und Bänke, an Wänden und Toren empor und über das unwegsame Pflaster. Alles dient der Aufführung. Die Bühne selbst gerät zum Nebenschauplatz.
Man sitzt halt im von Ausstatter Stefan A. Schulz entworfenen "Kelch", dessen Ausschank in der Pause auch Deftiges aus der Küche des benachbarten Restaurants anbietet. Gut unterhalten und bestens versorgt zollte das Publikum mit langanhaltendem Beifall dem zahlenmäßig kleinen Ensemble Respekt für die Darbietung großen Volkstheaters.
…Das Publikum sitzt an Festzeltgarnituren. Denn wir befinden uns im Restaurant "Zum Kelch", wo Schwejks anekdotengesättigte Abenteuer von der Belegschaft als Spiel im Spiel präsentiert werden.
…Die Herren tragen Krachlederne, die Dame Dirndl, ansonsten braucht es erstaunlich wenig Utensilien (…), um Schwejks unerhörte Geschichten aus der Welt der Kasernen und des Krieges lebendig werden zu lassen. Die Komödie entfaltet auch deshalb eine solch hohe Dynamik, weil jeder Akteur mehrere Rollen übernimmt – und das oft im fliegenden Wechsel. Die Spanne der auftretenden Charaktere reicht vom schnarrenden Stabsarzt bis zum schnuppernden Schoßhündchen.
Es ist ein Tour de Force voller Schenkelklopfer, die alle fünf Darsteller durch eine bravouröse Teamleistung überaus kurzweilig gestalten. Das Zentrum bildet dabei Michael Naroditski als Schwejk und dessen Urenkel, der mit seiner voluminösen Stimme nicht nur das Marientor spielend ausfüllt, sondern sich auch gegen das lebensfrohe Quietschen der Naumburger Straßenbahn behauptet.
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