Der junge Werther hat sich unsterblich in Lotte verliebt. Sie ist seine Traumfrau, er umschwärmt und vergöttert sie. Lotte weiß, was sie will. Sie genießt die Freundschaft mit Werther, ist jedoch mit Albert verlobt. Ihn heiratet sie auch. Werther leidet, Lottes natürliche und offene Art macht ihn wahnsinnig. Er sieht keinen Ausweg mehr und erschießt sich...
Goethe traf den Nerv seiner Zeit. Mit den "Leiden des jungen Werther" schrieb der 24-Jährige einen wahren Bestseller. Sein "Sturm und Drang"-Roman löste Kontroversen aus: plädierte Goethe wirklich für absolute Individualität und entfesselte Leidenschaft jenseits aller Regeln der Vernunft und der Konvention? Vor mittlerweile vierzig Jahren verschaffte Ulrich Plenzdorf mit seinen "Neuen Leiden des jungen W." der Dreiecksgeschichte neue Aktualität.
Paul Sonderegger spürt in seiner Fassung mit Originaltexten aus Goethes Briefroman den Herausforderungen der Liebe aus heutiger Perspektive nach. Wie modern ist Werther? Seine Wünsche des Herzens kollidieren mit der lieblosen Wirklichkeit, gesellschaftliche Erwartungen empfindet er als gnadenlose Demütigungen. Die Diagnose könnte lauten: Werther leidet an Depressionen, gepaart mit handfester Bindungsangst. Fazit: Werther, unser Zeitgenosse.
Theaterstück nach dem Briefroman von Johann Wolfgang von Goethe
PREMIERE am 31. Oktober 2013 Theater Naumburg
www.theater-naumburg.de
PREMIERE am 21. Januar 2017 Theater Ansbach
www.theater-ansbach.de
Eine Art Goethe-Abend kommt am 31. Oktober auf die Naumburger Bühne. Dafür erarbeiten zwei Regisseure mit je einem Mimen zwei separate Schauspielstücke.
Ein neues Kapitel schlägt das Theater Naumburg am 31. Oktober, 19.30 Uhr, auf. An diesem Premieren-Abend wird dem Publikum erstmals eine Doppel-Inszenierung geboten. Dabei kommen Johann Wolfgang von Goethes "Werther" und Peter Hacks "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" als eigenständige Inszenierungen daher. Derzeit wird an beiden einstündigen Aufführungen eifrig geprobt. Im Salztorhaus arbeitet Intendantin Susanne Schulz erstmals als Regisseurin mit Katja Preuß an deren erstem Solostück. Paul Sonderegger feilt indes mit Andreas C. Meyer am "Werther" im Ratskeller.
Der sonst verwaiste Ratsherrensaal, an dem die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat, böte auerbachsche Kelleratmosphäre, meint Sonderegger scherzend. Mit zwei mobilen Scheinwerfern und einem Heizkörper ausgerüstet sei es ein optimaler Probenraum. "Hier", so der Regisseur scherzend, "haben wir unsere Ruhe." Und das seit drei Wochen. In denen arbeitete sich Meyer in die Rolle des Werthers ein, der von seiner unglücklichen Liebe zur vergebenen Lotte und seinem Freitod berichtet. All dies erzählt er Albert, Lottes Verlobtem.
"Sei so untheatralisch wie es geht, du spielst die konkrete Situation, Werther erzählt uns stolz, wie er sich umgebracht hat, nebenbei kriegen wir Goethes Text mit", fordert Sonderegger zum zweiten Durchlauf auf. Dabei solle sich der Mime vorstellen, wie gut er es habe, Werther spielen zu dürfen. Das Publikum hingegen müsse sich ihn angucken. Der Sinn, Werther auf die Bühne zu bringen, liege darin, das Stück erlebbar zu machen, dem Zuschauer den Zugang zu ermöglichen. "Den Eingang muss jeder selbst finden, wir können nur die Schwelle so niedrig wie möglich machen", so Sonderegger. Gelungen sei ihm das mit seiner Naumburger Effi-Briest-Inszenierung, die Schüler mit "cool" kommentiert hätten. Problematisch sei gewesen, in der erarbeiteten Monologfassung Werther vom eigenen Tod erzählen zu lassen. Dafür griff er auf Plenzdorfs "Die neuen Leiden des jungen W." zurück. Nach einer absurden Einstiegssituation werde sich Werther in seiner Komplexität zeigen.
Auf der Probe: Ruth Krottenthaler und Paul Sonderegger (Foto: T. Biel)
Im zweiten Stück soll das Seelenleben der Frau von Stein beleuchtet werden. "Licht, Ton, Text, Musik und Tanz stehen dabei gleichberechtigt nebeneinander. Es war uns wichtig, mit anderen Künsten zu arbeiten", so Susanne Schulz. Von modernen Tanzelementen bis zum Operngesang reicht das Repertoire. Auch Objekte kommen, wenn auch nicht illustrativ, zum Einsatz. So nutzt die Regisseurin Schattenrisse, weil sie "wichtig waren für das Kennenlernen Goethes und Charlotte". Der Platz des Herrn von Stein bleibt frei - so wird das Publikum gewollt oder nicht zu Charlottes Mann. Mit posttraumatischen Elementen bringt die Intendantin das Stück auf die Bühne, die selbst zur vierten Dimension wird. Das von Ruth Krottenthaler gestaltete Bild wird sich immer mehr öffnen, die Natur spürbar werden. Knifflig und spannend sei, das Bühnenbild für beide Stücke aus einem Guss, aber so zu bauen, dass es sich von Werthers assoziativem Raum in das Schlosszimmer der Frau von Stein umbauen lässt.
Was an dem Gesamtabend herauskommt, davon müssten sie sich überraschen lassen, meinen die Regisseure. "Im Idealfall", so Sonderegger, "entsteht ein großer Goethe-Abend, an dem man in einen Goethe-Rausch kommt."
Als ich vergangenes Wochenende meine Großeltern in Naumburg besuchte, hatte ich das Glück, im eigentlich schon ausverkauften Theater Naumburg noch eine Karte für die Doppelpremiere "Die Leiden des jungen Werther" und "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" zu bekommen. Der Abend versprach viel Goethe, doch wie würde man es machen? Auf welche Weise würde man sich dem Stoffe nähern? Und überhaupt - ist das nicht eigentlich lange her? Gibt es da noch etwas, was uns angeht, was uns betrifft und interessiert? Das Foyer und später der Zuschauerraum waren gefüllt von Menschen. Es war Vorfreude zu spüren und eine besondere Art von Ausgelassenheit, wie ich sie aus den Theatern Leipzigs nicht kenne. Ich hatte den Eindruck, man genoss das Theater wie etwas, was man nicht alle Tage hat.
Diese besondere Ausgelassenheit fand ich zu meiner Überraschung im ersten Stück des Abends wieder. Die bisweilen düsteren und bis zu einer gefährlichen Innerlichkeit gesteigerten Leidenschaften des jungen Werther spielte Andreas C. Meyer mit einem Augenzwinkern. Der von seiner aussichtslosen Liebe zu Lotte gepeinigte Werther ringt in schweren Albträumen mit einer phlegmatischen Matratze, er spielt ein gefühlsduseliges Lied auf der Gitarre oder er ist damit beschäftigt. Den eigens für Lotte angelegten Altar mit dämmrigem Licht zu bescheinen. Dazwischen immer wieder diese tiefe und kraftvolle Goethische Sprache, der man denkt, dass man sich nicht entziehen kann.
Und doch: Paul Sonderegger, der bei diesem Stück Regie führt, scheint gerade darum bemüht: um Abstand. Das Stück ist der Versuch, die Gefühlswelt des jungen Werthers in die heutige Zeit zu übertragen. Wir sehen einen depressiven Werther, der nicht eigentlich bloß an der Innigkeit, Wahrhaftigkeit und Ausweglosigkeit seiner Liebe zugrunde geht, sondern auch und vielleicht vor allem an seiner Hilflosigkeit, in die ihn diese Liebe stürzt. Andreas C. Meyer greift zum Stift und schreibt ganz langsam an die Wand: "Geht's mir schlecht, dann geht's mir gut." Damit ist ausgedrückt, woran Werther, zumindest nach Ansicht des Regisseurs krankt: es sind Selbstmitleid, -aufgabe und Mutlosigkeit.
© 2024 paul@paul-sonderegger.de, Berlin; Impressum