Unsterblich verliebt in Wien hat sich der deutsche Gesandte Graf Zedlau. Fern der Heimat verfällt der verheiratete Botschafter den Herzen der Wienerinnen. Da gibt es die Schauspielerin Franziska, deren Temperament er geradezu vergöttert, und das reizende Servierfräulein Pepi, die so zuckersüß und unverschämt direkt ist. Man trifft sich zum Rendezvous im Kaffeehaus, zum Ball und zum Heurigen – das Feiern nimmt für Graf Zedlau kein Ende. Bis plötzlich der fränkische Unternehmer Ypsheim auftaucht. Der ist selbst auf Brautschau und kommt dabei seinem Botschafter mächtig in die Quere.
Zu allem Überfluss erscheint auch noch die Gattin des Grafen. Nach heftigem Hin und Her findet das Bäumchenwechseldich-Spiel seine Auflösung. Die Ursache der allgemeinen Gefühlsverwirrung ist schnell gefunden: Es ist das Wiener Blut!
„Wiener Blut“ vereint die berühmtesten Melodien des Walzerkönigs Johann Strauß zu einer charmanten Verwechslungskomödie. Die Schauspieler des Theater Ansbach stürzen sich lustvoll ins Vergnügen und spielen und singen eine ganz persönliche Fassung dieser ewig jungen Operette.
Schauspieleroperette
Musik von Johann Strauß
Ansbacher Fassung von Paul Sonderegger
Premiere am 5. März 2016
im Theater Ansbach
www.theater-ansbach.de
Wer in Wien war, weiß: die zweitgrößte deutschsprachige Stadt muss man einfach lieben. Oder man findet sie unerträglich, speziell wenn man in Berührung mit Einheimischen gekommen ist. Gleichgültig lässt die Stadt jedenfalls keinen. Hassliebe – so könnte man auch das Verhältnis der Österreicher zu den Deutschen bezeichnen – den "Piefkes", wie die "Ösis" ihre nördlichen Nachbarn etwas herablassend nennen. Gegenseitige zärtliche Abneigung ist es, eine Liebe voller Hindernisse und Missverständnisse. Darum geht es in "Wiener Blut".
Kern der Geschichte ist die Frage: Wie gestalte ich mein Beziehungsleben zufriedenstellend? Graf Zedlau, deutscher Botschafter in Österreich, verliert in Wien die Kontrolle über seine Libido. Er kann seine Lust nicht zügeln und jongliert zeitweise mit drei Frauen gleichzeitig. Sein fränkischer Geschäftsfreund Ypsheim gibt den gestrengen Moralisten. Der Konflikt zwischen den Herren ist somit vorprogrammiert. Doch so unschuldig sind Ypsheims Absichten nicht. Nach reichlich Champagnergenuss zeigt sich, dass auch er dem Abenteuer mit attraktiven Wienerinnen nicht abgeneigt ist. Auf Freiers Füßen bewegt es sich fern der Heimat bekanntlich ungenierter. Die angebeteten Damen allerdings könnten widerspenstiger nicht sein: von gekränkt-eifersüchtig über jugendlich-kokett bis verständnisvoll-selbstbewusst fordern sie die Verstellungs- und Verführungskünste ihrer Galane geradezu heraus. Die Tour d’amour gestaltet sich für die beiden Herren also nicht so einfach wie zunächst gedacht.
Treffpunkt der Elite und der kleinen Leute – alle Welt verabredet sich im Wiener Kaffeehaus. Hier wird Politik gemacht und Privates verhandelt, es klüngeln Botschafter und Kellner, es flirten Bauunternehmer mit Schauspielerinnen. So wird es seit jeher praktiziert, egal ob zu Zeiten des Wiener Kongresses in der k. & k.-Monarchie, während der Entstehungszeit unserer Operette um die vorletzte Jahrhundertwende oder in jüngerer Vergangenheit und Gegenwart. Seit 1957 ist Wien Sitz der Vereinten Nationen, und die ganze Welt tummelt sich hier im diplomatischen Karussell. Das Kaffeehaus ist bis heute Schauplatz gesellschaftlichen Lebens und Treibens, seine Salons ideale Projektionsfläche für unerfüllte Sehnsüchte, sein Parkett mitunter spiegelglatt, der Fauxpas jedoch stets kulinarisch abgefedert: eine Mehlspeise passt immer zur Melange.
Die Österreicher wissen schon Bescheid. Sigmund Freud erfand die Psychoanalyse, Erwin Ringel erforschte die österreichische Seele. Sie liefert den Stoff für zahllose literarische Innenansichten, von Johann Nestroy über Hugo von Hofmannsthal bis Thomas Bernhard, die spezifisch österreichische Psyche ist eine wahre Fundgrube für Kabarettisten wie Helmut Qualtinger und Georg Kreisler. Dass die Österreicher – um beim Klischee zu bleiben – auf ganz eigene Weise mit den Läufen des Lebens umgehen, ist bekannt und macht sie liebenswert. Oder eben auch schrullig. Ihre betont freundliche Art, Konflikten auszuweichen, wirkt gerade für den deutschen Gast befremdlich bis unverständlich. Und dann erst die umständlichen Begriffe für die einfachsten Dinge: wer kann schon die vielen Kaffeevariationen unterscheiden? Oder der viel gerühmte Wiener Schmäh – ist diese Ironisierung aller Fakten nicht eine einzige humoristische Peinlichkeit? Nun, in der Komödie basiert alles, worüber wir lachen, auf Missverständnissen. Deutsche und Österreicher trennt die gemeinsame Sprache, soll Karl Kraus gesagt haben. In "Wiener Blut", unserer musikalischen Komödie, verketten sich sprachliche Missverständnisse zu einer Katastrophe für die Protagonisten. Ein Riesenspaß!
Operette heißt: Musik zum Schwelgen. Die Musik fällt in „Wiener Blut“ besonders üppig aus, besteht diese Operette doch aus einer Zusammenschau der größten Erfolge des "Walzerkönigs" Johann Strauß. Hier in Ansbach spielt anstelle eines Orchesters ein Steinway-Konzertflügel die heimliche Hauptrolle. Die Konzentration der Besetzung auf sechs Schauspieler ist eine besondere Herausforderung und ein absoluter Gewinn. Wir zeigen die Essenz der Operette. Es ist alles drin: das Beziehungsdrama und die wunderbare Musik. Beides verständlich, berührend und zum Lachen komisch. Unsere Schauspieler interpretieren Strauß so persönlich und so leidenschaftlich, dass niemand die klassische Operettensoubrette vermissen wird.
Gelungen, brillant!
…saßen mit einem Lächeln im Gesicht im Saal und ließen uns verzaubern.
"Wiener Blut" im Theater Ansbach - Paul Sonderegger zitiert eine Operette auf die Bühne
… Paul Sonderegger inszeniert die gern geschmähte Johann-Strauß-Operette als ganz und gar entschiedenes Jein: als Bekenntnis zu einer unterschätzten Kunstgattung und als deren Verneinung.
Die erste Operettenproduktion des Theater Ansbach … unterhält auf eine verquere Art. Vom ersten Takt an spielt die Handlung wie zwischen Anführungszeichen. Die amourösen Verwicklungen des Grafen verwickeln sich in Sondereggers Fassung gemächlich, das aber hoch ironisch in einem Kaffeehaus der späten Fünfziger, frühen Sechziger. Alles scheint Zitat hier.
Diese Operette … funktioniert dadurch, dass sie mit ihrem Scheitern und ihren Mängeln spielt, … wo der Text wie auf dem Seziertisch liegt oder lakonische Nebenhandlungen Bedeutung gewinnen.
Sonderegger inszeniert eine fortwährende Operettenunterlaufung. Er misstraut dem Duri-Duri-Remasuri-Leichtsinn, der im "Wiener Blut" verklärt wird. Er bedient ihn zwar, aber indem er die Genrekonventionen und Geschlechterklischees, wie sie die Stadttheater einst pflegten, parodistisch zitiert. Er dreht dann auch die Komik in aller Vorsicht weiter, so dass manchmal ein schöner Blödsinn herauskommt. Stellenweise, wenn in stummer Komik die Einsamkeit, die Verlorenheit, die Demütigungen, die Verletzungen der Figuren, die in ihren Gesellschaftskonventionen wie erstarrt scheinen, sichtbar werden, stellenweise weht der Geist von Christoph Marthaler durchs Haus; ein Hauch zumindest ist es.
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